Dienstag, 27. Januar 2009

Freundschaft mit dem Feind

Als ich im Oktober 1994 für zwei Wochen nach Georgien reiste, um für meine Diplomarbeit fehlendes Karten-Quellmaterial zu suchen, lernte ich an der Universität von Tbilisi David Beruchashvili kennen.
Kurz vorher hatte mich sein Vater Nicholas, Professor und Leiter des Kartographie-Instituts an der Uni, mit meinem Gesuch nach Karten (etwas unwirsch) mit den Worten: "Es ist doch alles vorhanden." abblitzen lassen.
David bot mir an, mir seinen sowjetischen Schulatlas vom Ende der 1970er auszuleihen, und so gingen wir zu Fuss zu ihm nach Hause.

Dort traf ich seine Grossmutter, eine kleine, alte, gebeugte Frau, die mir, als David mich als Germanelli (Deutscher) vorstellte, sehr nett zulächelte und etwas sagte, was ich nicht verstand. David erzählte mir, seine Oma hätte schon als junge Frau alle Zähne verloren bei der Belagerung Leningrads durch Deutschland im 2. Weltkrieg. Damals wusste ich nicht viel von dieser Belagerung, aber mir wurde etwas mulmig gegenüber seiner Grossmutter.

Trotzdem war sie immer freundlich und lächelte, auch als sie uns einen Happen zu essen brachte während wir den Atlas durchblätterten.
Später verabschiedeten wir uns und sie gab mir eine Umarmung.

Ich habe immer wieder an die Frau denken müssen, die trotz der Qualen, die ihr Deutsche zugefügt haben, keinen Groll gegen "uns" verspürte.

Heute jährt sich der Tag, an dem Leningrad befreit wurde, zum 65. Mal. Spiegel-Online hat einen Artikel dazu.

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