Der treintaytres
- (Vorweg: der treintaytres ist der (zumindest virtuell) gefürchtete mex. Verfassungs-Artikel 33, der da u.a. sagt (Original-Wortlaut):
Los extranjeros no podran de ninguna manera inmiscuirse en los asuntos politicos del pais.
(Übersetzung: "Ausländer dürfen sich in keinem Fall in politische Angelegenheiten des Landes einmischen.")
Im Januar 2001, als ich noch zur Miete wohnte (in der Nähe der Metro Potrero), hatte der Vermieter mit Nachnamen Montes de Oca (von uns auch "Montes de Poca" oder wegen seiner Blödheit "tache" genannt) die geniale Idee, uns die Schlösser zum Hof auszuwechseln, während wir nicht zu Hause waren, um eine höhere Miete aus uns herauszupressen. Als ich ich nach Hause kam und die Tür nicht öffnen konnte, versuchte ich, mit ihm zu verhandeln; er aber verwies uns nur an seinen Anwalt (der, wie ich gleich darauf erfuhr, nichts mit dem Fall zu tun haben wollte).
Kurz und gut: wir gingen zum ministerio público (Polizei) der delegación Gustavo A. Madero und erstatteten Anzeige wegen despojo (Aussperrung) und Diebstahl.
Wie immer ging es hin und her im m.p.; die Beamten wollten Geld sehen, um den Fall zu "beschleunigen"; der von uns angestellte Anwalt nahm unser Geld und war danach plötzlich unauffindbar (eigentlich sollte ich seinen Namen hier auch posten, um ihn etwas anzuschwärzen), ... - um's kurz zu machen: die Sache verlief im Sand und unsere Habseligkeiten (u.a. mein gesamtes Werkzeug, eine teure Schöffel-Jacke und mein schweizer Taschenmesser) waren futsch.
Bis ich eines Tages (etwa ein Jahr später) einen Anruf vom Reclusorio Norte (Nord-Gefängnis) bekam, dass wir (ich, meine Frau und meine Zeugen) doch gefälligst (ja, so sind die Behörden hier) an diesem oder jenem Tag um 9:00 Uhr im Gefängnis antanzen sollten, weil der Herr Montes de Oca gefasst worden sei und der Fall von der secretaria de acuerdos (sowas wie ein Friedensrichter, der die Leute dazu bewegen soll, sich gütlich zu einigen, ohne dass irgendwer in den Knast wandert und keine 4000 einzieht) behandelt werden sollte.
Kurz vor 9:00 Uhr waren wir da; uns wurde ein Pflicht-Anwalt (Beamter vom Knast) zugeteilt (ein netter Kerl, der mir gut geholfen hat), wir besprachen uns kurz und warteten... und warteten... und warteten. Ich war schon ziemlich stinkig, weil ich schließlich zur Arbeit mußte und nicht den ganzen Tag im Knast rumhängen wollte, da rief man uns zum Gespräch (10:30 Uhr!).
Der "Gegner" kam mit 4 (in Worten: vier) Anwälten. Ich war "etwas" ärgerlich ob der langen Wartezeit und ließ das auch raus. Die Anwälte des "Gegners" lächelten nur und tuschelten miteinander. Die secretaria de acuerdos verlas die acta (Anzeige), die ich vor dem m.p. zu Protokoll gegeben hatte und fragte, ob ich alles verstanden hätte. Ich dachte nur: "que se friegen" und bat um einen Übersetzer, da ich dieses Amts-Mexicanisch nicht verstehe. Die secretaria schluckte, die Anwälte tuschelten, ... - die secretaria stand auf, sagte zu mir, dass ich ihr folgen sollte (was ich tat) und wir gingen, die 4 Anwälte im Troß, in's Büro des Richters. Die Anwälte blieben vor der (offenen) Tür, dem Richter wurde meine Bitte vorgetragen, wir redeten kurz und der Richter bat mich, so lange dabei zu bleiben, bis ich partout nichts mehr verstünde; "mein" Anwalt würde mir helfen. Ich willigte ein, und als ich aus dem Büro kam, raunzte mich einer der Anwälte an:
"Dafür wenden wir Dir den 33 an und Du wirst ausgewiesen!"
Das ließ ich mir natürlich nicht zweimal sagen: ich drehte mich auf dem Absatz um, marschierte vor den Richter und sagte: "Muß ich mich hier mit dem 33 bedrohen lassen?"
Der Richter kam aus seinem Büro, fragte, was los sei und entschied, dass alle Anwälte ohne lic. (sprich: ohne legale Akreditation) nicht anwesend sein dürfen. 3 der 4 mußten gehen. Hähä.
...und die Moral von der Geschicht': mexicanische "Anwälte" sind A...rmleuchter ... - äh, nein:
bloß nicht bangemachen lassen, alle anderen kochen auch nur mit Wasser.
P.S. die Geschichte ging am Ende so aus: des "Gegners" Anwalt bestach mich, damit ich dem armen-armen Montes de Poca verzeihe (d.h. ein perdón erteile, dass ihn vor dem Knast bewahrt).
Was man nicht alles für ein paar (viele?) Moneten macht. Meine Sachen waren eh futsch; warum sollte ich nicht Kapital aus der Sache schlagen und dem tache finanziell eins überbraten für seine majadería?
2 Kommentare:
Koestlich, diese Anekdote. Ich stelle ausserdem fest dass Du langsam die landestypischen Verhaltensweisen annimmst: Zum Bestechen gehoeren ja bekanntlich zwei, der der sticht, und der der sich (be)stechen laesst. In diesem Fall ist es aber eher als aussergerichtliche "Schadensersatzzahlung" zu interpretieren und von daher voellig o.k..
Bestechung ist das nicht (auch wenn es sich möglicherweise so anhört), denn eine außergerichtlicher Einigung war ja ausdrücklich erwünscht.
Außerdem muß man die rechtliche Lage etwas mehr abklopfen: das "Gewinnen" der Anzeige wegen despojo (Aussperrung) hätte mir nur das Recht gegeben, wieder in der Wohnung leben zu können (was ich natürlich gar nicht wollte); die andere Anzeige wegen Diebstahls war (u.a. wegen der korrupten Beamtin) im Sande verlaufen, weil ich plötzlich beweisen sollte, dass der Herr Montes de Poca meine Habseligkeiten hat (wie, wenn ich den Tünnes seit meiner Aussperrung nicht mehr gesehen hatte?).
Von daher war es tatsächlich eine Entschädigung; der wirklichen Schaden, der mir durch den Diebstahl entstand, wurde nicht einmal zur Hälfte abgedeckt - aber von nix zu wenigstens etwas; da lohnt sich das schon.
Noch was: als wir ausgesperrt wurden und bevor wir entschieden zum ministerio público zu gehen, standen schon ein paar Freunde, allesamt 2-Meter-und-mehr-Hünen aus einem Basketball-Team, bereit, um die Bude zu stürmen und den Besitzer festzuhalten, während wir anderen alle Sachen rausschleppten. Wegen eventueller negativer Folgen für mich (pinche extranjero) ließen wir das aber in diesem Fall.
Ob ich beim nächsten Mal (welches es hoffentlich nicht gibt) auch so verfahren werde/würde, lasse ich dahingestellt...
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