Samstag, 18. August 2007

"1000 gute Gründe: Die Rente" - die Diskussion (I)

Andreas hatte eine "Blogparade" (was immer das ist... ;-) ) zum Thema Auswandern vorgeschlagen und als eines der Argumente die Rente angeführt. Ich kommentierte, dass ich die Jammerei nicht verstehe und Sven antwortete (siehe in den Kommentaren des Eintrags 1000 gute Gründe: Die Rente).
Eigentlich war das folgende als eine Antwort auf Sven's Argumente gedacht; weil es aber "etwas" ausführlicher wurde und sehr wahrscheinlich eine Kontroverse auslösen wird (ja, ja, ich und das Provozieren... ;-) ), veröffentliche ich dazu hier einen unabhängigen Blog-Eintrag.

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"Warum beklagt man sich also so heftig?"

Weil eben der Generationenvertrag nicht mehr funktioniert, weil das mit simpler Mathematik seit 1975 vorherzusehen war, und weil trotzdem niemand in verantwortlicher Position den Mumm hatte, mal den Mund aufzumachen (siehe Herr Blüm)...

Heftiges Beschweren bleibt für mich trotz Deiner Argumentation unklar; v.a. wenn es -wie Du sagst- 1975 schon so einfach vorherzusehen war.

Ich sag's mal direkt, ohne Dich persönlich angreifen zu wollen (ich sitze ja im selben Boot): wenn die Eltern der heute 20- bis 40-jährigen und die allergrößte Mehrzahl der deutschen Erwachsenen sich in der Zeit, in der wir im Kindergarten waren, darum "gekümmert" hätten, mehr künftige Steuerzahler zu zeugen, wäre es nicht so weit kommen (ich lasse hier bewußt andere Faktoren wie z.B. Arbeitslosigkeit oder miese Wirtschaftspolitik aus).

Tatsache ist doch, dass die deutsche Bevölkerung lange gar nichts von diesem Problem wissen wollte - ganz so, als ob man mit Totschweigen und Herausschieben die Zukunftsnöte lösen könnte... - jetzt, wo das Kind in den Brunnen gefallen ist, wird laut gejammert und den damals Verantwortlichen die Schuld zugeschoben.

Ich finde das billig, denn seinerzeit haben die Bundesbürger gerne z.B. dem Herrn Blüm und seiner Partei ihre Stimme gegeben (sogar mehrmals), weil es doch so schön ist, den Versprechungen Glauben zu schenken und es ja (angeblich) nur besser werden kann (auch Politik ist nichts weiter als Marketing, wo man dem Wähler das sagt, was er hören will).

Wenn die Mehrzahl der Wähler seit den 1970er Jahren nicht 1 und 1 zusammenzählen und sich ein Zukunfts-Szenario ausmalen konnte (oder besser: wollte), dann muß man das eben heute und in den nächsten Jahrzehnten ausbaden.
Ewig kann man nicht auf Pump leben. Wir können uns bei unseren Eltern und Großeltern bedanken - und werden wahrscheinlich genauso mit unser Zukunft umgehen.

Was ich auch nicht verstehe, ist dieser Egoismus (wieder kein persönlicher Angriff - siehe oben). Die Rentenversicherung wurde als ein Sozialsystem geschaffen; "sozial" heißt, dass alle mithelfen und -zahlen, um es aufrecht erhalten zu können. Die Rente ist (noch) keine Kasse, in die jedes Individuum für seine persönliche Rente sorgt, sondern ein Topf, in den die wirtschaftlich Aktiven einzahlen und die wirtschaftlich nicht mehr Aktiven versorgt werden. Dabei tragen die Aktiven sämtliche Kosten - wie gesagt: so ist's seit Jahrtausenden. Wenn nun die Inaktiven (sei's aus Alters- oder Krankheits-Gründen) mehr werden, müssen die Aktiven eben mehr zahlen.

Wird das System geändert auf Individual-Konten, dann geht die ganze Sozial-Idee flöten; da können wir doch wieder mit dem Kleinfeudalismus anfangen, wo jeder nur seinen persönlichen Vorteil und (vielleicht) den seiner direkten Familie sieht. In Mexico ist das fast schon so (mit den AFOREs); soziales Engagement in diesem Land ist Mangelware.
In Deutschland ist man auf einem guten Weg dazu; frag' mal, wer sich noch kostenlos bei Pfadfindern, in der Kirchengemeinde oder freiwilliger Feuerwehr engagieren will. Lieber tritt man aus der Kirche aus, weil man nicht die Meinung des Papstes teilt; dass hinter der Kirchensteuer aber auch soziales Engagement wie Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser (eigentlich alles Aufgaben des Sozialstaats) stecken, interessiert nicht - die brauch' ich ja sowieso nicht, wenn ich keine Kinder habe!
Jetzt will man auch noch die Wehrpflicht "freiwillig" machen; für mich hört sich das nach absichtlicher Sabotage am Sozialstaat an - und das von der "sozialen" Partei.

Das Ergebnis ist wieder vorherzusehen: bei weniger Solidarität ist jeder nur für sein eigenes Wohl zuständig; die anderen interessieren einen einen Kehricht. Wozu sollte ich Kinder haben? - die kosten doch nur!
Dass sie im wahrsten Sinne des Wortes eine Investition in die Zukunft sind (sie sollen mich irgendwann mal unterhalten), sieht kaum einer; lieber hat man ein oder mehrere Häuser als Sicherheit.
Ich habe bisher noch nicht gehört, dass Häuser alte Menschen aktiv versorgen - und junge (nicht mal bezahlte Pfleger) wird's ja kaum mehr geben, weil ihre "Aufzucht" "so teuer" ist (entsprechend sind dann auch ihre Stundensätze - "freie Marktwirtschaft: Angebot und Nachfrage" heißt das).

Ich schlage folgendes vor (Vorsicht! Grausam, asozial und nicht ernstgemeint): wer die Renten-Altersgrenze (z.Zt. 65 Jahre) erreicht und nicht mindestens -zusammen mit seinen Geschwistern- die Mindestquote von 2,1 Kindern pro Frau erfüllt hat, wird hingerichtet. Die anderen bekommen 5 Jahre mehr.
Wäre das was?
So löst man das Problem recht schnell und alle können sich über niedrigere Rentenversicherungsbeiträge freuen. Die Pflegeversicherung wird dann überflüssig, weil alle Kranken, deren Pflegekosten einen bestimmten Betrag übersteigen, eine Zyankali-Pille bekommen, in eine Einöde transportiert und ihrem Schicksal überlassen werden, damit sie fernab von den Gesunden ableben können.
Wieder weniger Lohn-Nebenkosten - hurra!

Willkommen in der Steinzeit! Irgendwie hört sich das nach Mad Max und anderen dunklen Zukunfts-Filmen aus den 1980ern an (ich erinnere mich an einen, wo die Alten tatsächlich in die Wüste geschickt wurden, weil wirtschaftlich nicht mehr rentabel); Brave New World läßt grüßen (dort werden Kinder zentral gezeugt, versorgt und ausgebildet, damit sie nicht lästig sind).

Eine Anmerkung zum Schluß: Das alles ist nicht persönlich! Ich habe mich nur an Argumente gehalten, um bildlich klar zu machen, was ich meine. Dabei habe ich bewußt desöfteren extreme Szenarien "erfunden", auch um zu provozieren.

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3 Kommentare:

Blogger Sven schrieb...

"Eine Anmerkung zum Schluß: Das alles ist nicht persönlich!"

Blablabla... Bei mir musst Du Dir wenig Sorgen machen dass ich Dir virtuell an den Hals springe. Ich mag kontroverse Diskussionen, und solang Du nur meine Argumente sachlich zerlegst und knicht meine Person attackierst, gibt's auch keinen Grund, in jedem dritten Satz "Ist nicht persoenlich gemeint" zu schreiben, denn das stoert den Lesefluss ;)

Zum Thema aeussere ich mich spaeter.

19. August 2007 um 15:14  
Blogger Sven schrieb...

Du schreibst: Die Rente ist (noch) keine Kasse, in die jedes Individuum für seine persönliche Rente sorgt

Leider doch. Denn das Prinzip besagt dass, wenn ich heute ins System einzahle, morgen davon profitiere, was ein fairer theoretischer Ansatz ist, der aber nicht mehr gilt. Wie Andreas schon beschrieben hat. Man zahlt heute mehr ein als frueher, kann aber nicht mehr davon ausgehen, spaeter auch versorgt zu werden, egal, wie viele zukuenftige Steuerzahler man zeugt.

Daher hat man halt einfach die Riesterrente (und aehnliche private Vorsorge-Systeme) erfunden, und verlangt von den Menschen - inzwischen ohne Blatt vorm Mund – dass sie NEBEN dem Sozialbeitrag auch noch fuer sich selbst sorgen. Gleichzeitig wird gejammert, dass immer weniger fuer Konjunktur und Kinderkriegen uebrig bleibt. Ein Teufelskreis, denn es bringt uns von der in Deinem Beitrag genannten jahrtausende-alten Doppelbelastung (fuer Kinder und Alte) zu einer Dreifachbelastung (fuer Kinder, Alte, und uns selbst)... Leider habe ich auch keine Loesung parat... ansonsten gaeb’s sicher bald die Fuchs-Rente.

Weiterhin denke ich, das Problem ist weit komplexer als Du es darstellst... Hier ein paar Gedanken, die ich aufwerfe, aber nicht zu Ende denke, denn soviel Zeit habe ich leider nicht.

(A) Die verbogene Alterspyramide ist ein Fakt, der zwar korrigiert werden koennte, aber nicht von heut auf morgen. Aehnlich wie bei der Erderwaermung bringt es kurzfristig wenig, wenn heute ploetzlich alle anfangen zu poppen wie die Hasen. Die Auswirkungen dessen waeren naemlich erst in rund 25 Jahren zu spueren (wenn die neue Generation produktiv wird), und die Zeit bis dahin muss irgendwie ueberbrueckt werden. - Zudem erzeugen mehr Erdenbuerger ja durchaus auch neue Probleme, die man nicht vernachlaessigen darf.

(B) Der Geburtenrueckgang ist kein reines Willensproblem. Das Leben in den Industriestaaten wird tatsaechlich teurer und die Jobs werden knapper. Die Gruende dafuer reichen von gestiegenen Lebensstandards ueber Rationalisierung (techn. Fortschritt) bis zur Globalisierung (Outsourcing).

(C) Die Politik zeichnet sich nicht grad durch zielgerichtete Massnahmen aus, um den demographischen Aenderungen entgegenzuwirken. Waehrend das Kindergeld gestiegen ist, gibt’s nun Studiengebuehren, die Kosten des Gesundheitssystems steigen staendig, und familienorientierte Steuervorteile wurden gestichen. So wird im Grunde nur umgeschichtet... Und das sind nur ein paar Beispiele, wie der Gesetzgeber sich gern selbst widerspricht.

(D) Gestiegene Lebenserwartung heisst oft, dass Leute laenger am Leben gehalten werden. Die produktive Lebensphase wird aber nicht unbedingt verlaengert. Bei Schreibtisch-Jobs mag zwar eine laengere Lebensarbeitszeit realistisch sein, aber ein 69-jaehriger Dachdecker wird wohl doch eher die Ausnahme bleiben. Schon deshalb kann der Generationenvertrag in seiner urspruenglichen Form nicht funktionsfaehig bleiben, denn die statistische Basis auf der er entwickelt wurde, gilt nicht mehr.

So, nun werd ich noch ein wenig sonntaegliches Tageslicht geniessen.

19. August 2007 um 16:10  
Blogger Andreas Bohn schrieb...

Ich kann Deine Argumente nachvollziehen, es stimmt (und ist auch gut), daß das deutsche Rentensystem eine soziale Komponente beinhaltet, da habe ich prinzipiell kein Problem mit und ich weiß auch, daß die Rente kein Sparvertrag ist, in dem ich das Geld, das ich einzahle verzinst wieder rausbekomme.

Aber: Wie Du richtig bemerkst, liegt die Wurzel des Problems darin, daß in den siebzigern sich niemand ernsthaft mit dem Problem auseinandersetzen wollte. Trotzdem beanspruchen genau die Leute, die damals den Kopf in den Sand gesteckt haben, heute ihre volle Rente (und können sich damit auch durchsetzen, weil es sich in D heute kein Politiker, der wiedergewählt werden will, leisten kann, die Rentner zu verärgern). Da heißt es dann, "Aber wir haben unser Leben lang eingezahlt, es wäre doch unfair, wenn wir jetzt unseren Lebensstandard runterschrauben müssten!. Aber genau das verlangen sie von uns, daß wir jetzt voll einzahlen und später aber weniger rauskriegen. Und das ist jetzt plötzlich fair, nur weil man es uns vorher gesagt hat, bzw. weil das Problem mittlerweile dermaßen offensichtlich ist, daß man es nicht mehr verstecken kann?

Wie wäre es da mit einem etwas sozialeren Verhalten, indem man der heute aktiven Generation etwas Last abnimmt, damit die sich um ihre eigene Zukunft sorgen können?

Prinzipiell hat Sven meinen Punkt eigentlich schon recht gut getroffen und wie er habe ich keine Patentlösung für das Problem. Aber das System der umlagebasierten Vollrente wird in Zukunft nicht mehr funktionieren, weil man die Leute nicht zwingen kann, Kinder zu bekommen. Vielleicht wäre eine umlagebasierte Grundrente (für alle gleich hoch), in die einfach jeder einzahlt (vielleich sogar steuerfinanziert) mit kapitalbasierter Ergänzung eine Lösung?

Was es auch sei, der Übergang wird auf alle Fälle schmerzhaft und je später es angegangen wird, desto übler wird es.

20. August 2007 um 09:59  

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