Mittwoch, 23. April 2008

Wie man sich widerrechtlich ein Grundstück aneignet - Teil III

Das siehst Du aber sehr eng....als ob sich der alte Mann das Stückchen Land einverleibt hätte und es als sein Eigentum betrachten würde. Es handelt sich dabei um, du schreibst selbst, ca. 4 qm. Unglaublich. Das Taxifahrer eine "Abkürzung" über ein Grundstück einrichten ist doch im Grunde sehr positiv.
Eigeninitiative nennt man das.


Das schreibt Leser Andreas hier in den Kommentaren.
Ich antworte mit einem neuen Beitrag hier, weil das Thema wohl doch etwas mehr erläutert werden muß als ich annahm.

Die, die viel haben und ihr Hab und Gut (meist durch private "Sicherheits-Leute") geschützt wissen, haben leicht reden, wenn es darum geht großzügig zu sein mit denen, die (vermeintich) nichts haben.

Andreas hat Recht: vier Quadratmeter ist sehr wenig. Es ging mir in dem Beitrag auch nicht darum, diesen anscheinend hart arbeiteten Herrn zu verteufeln. Ich wollte das Prinzip des Landklaus und die Folgen beispielhaft und an einem realen, selbst beobachteten Beispiel erklären.

Die Folgen massiver illegaler Landnahme (das sind 4 qm x mehrere zehntausend = mehrere tausend Hektar) werden einem deutlich, wenn man von Indios Verdes Richtung Norden fährt. Von der Maut-Autobahn sieht man es gut: im Tal die Industrie und an den Hängen bis fast an die Gipfel mit steilsten Straßensteigungen (manchmal helfen nur Treppen) ein aschgraues Häusermeer (von manchen verglichen mit Palästinenser-Siedlungen im Gaza-Streifen) bis zu einer hohen Mauer, die gezogen werden mußte, um weitere Invasion in die Naturschutzgebiete Tepeyac (ein Nationalpark) und Sierra de Guadalupe zu verhindern. Diese Häuser waren (sind?) fast alle illegal errichtet; meist haben sie nicht einmal fließendes Wasser (Strom schon; den bekommt man vom nächsten Strom-Mast, wenn es sein muß mit kilometerlangen Kabeln, die notdürftig irgendwo verlegt werden) und der Trinkwasser-Tankwagen muß bis dort hochfahren. Die allermeisten haben mittlerweile die notariell beglaubigten escrituras ihrer Häuser, denn sie sind ein großes Wählerpotenzial, das sich die jeweils regierende Partei im Stadtparlament gesichert (böse Zungen behaupten: auf Kosten der steuerzahlenden Allgemeinheit gekauft) hat.
Ecatepec, das einwohnerstärkste municipio Mexicos (laut INEGI mehr als 1,6 Mio. Einwohner), ist zum Großteil durch illegale Landnahme entstanden.

Ist das alles so schlimm?
Im Prinzip nicht: die, die nichts hatten, konnten so wenigstens zu etwas Besitz kommen. Wenn, ja wenn es da nicht gut organisierte Banden gäbe (ich nannte die der PRD nahestehende Frente Popular Francisco Villa (FPFV)), die gezielt Landraub zur persönlichen Bereicherung betreiben. Die FPFV hat in Tláhuac (D.F.) Teil des durch Invasion ergaunerten Landes, das später -pragmatisch, wie mex. Parteien nun einmal sind- legalisiert wurde, an Bau-Firmen verkauft, die dort fraccionamientos de interés social errichten (wollen).

Viele derjenigen, die irgendwo illegal gesiedelt haben, leben in Zonen, die als gefährlich eingestuft sind: in trockenen Fluß- und Bach-Betten, die sich bei starken Regenfällen in wahre Sturzbäche verwandeln; an Hängen, denen bei Regen Erdrutsche oder Kanten-Abbruch drohen; in der Nähe von alten, undokumentierten Minen, die jederzeit einstürzen könnten.
Wer aber escrituras hat, hat auch Rechte.
Wenn z.B. mal wieder -wie in Chalco- der gleich nebenan (und de facto höherliegende) Kanal nach einem Regenguß über die Ufer tritt und große Teile der ehemals illegalen Siedlungen überschwemmt, ist das Geschrei groß. Die Feuerwehr pumpt und pumpt; die Politiker besuchen werbewirksam die Katastrophe (immer begleitet von ihren (gekauften) Getreuen von Televisa und Azteca) und versprechen Hilfe und Wiederaufbau.

Nur... - wer zahlt den Wiederaufbau (bzw. das, was, nachdem sich viele Zwischenhändler daran bereichert haben, davon übriggeblieben ist)?
Ach ja, die Steuerzahler so wie ich, der ich so blöd war, mein Haus mit einer Hypothek (die ich immer noch Monat für Monat abbezahle) legal zu kaufen, immer brav predial (Grundsteuer), Wasser und Strom zahle und meine Steuererklärung für das Geld mache, das ich ehrlich verdient habe.
Was für ein Trottel ich doch bin! Ich glaube, ich sollte mich nicht mehr ärgern oder beschweren, sondern mich endlich in die mex. Gesellschaft voll und ganz integrieren, dann wären mir solche Barbareien auch egal, die 4 Quadratmeter des alten Herrn und noch mehr die Millionen-Selbstbedienung der Politiker und deren lächerliche Parlaments-"Du-bist-blöd-und-deswegen-blockiere-ich-Dir-den-Zutritt"-Spielchen, die allgemeine Rechts-Unsicherheit und (wieder gestiegene) Korruption in diesem Land.
Hauptsache, mir und meiner direkten Familie geht es gut, egal wie ich meinen Besitz erlangt habe -erschwindelt oder ehrlich verdient-, wobei die Gesellschaft an sich und das Wohlergehen der Allgemeinheit völlig nebensächlich sind.
Es gibt ja nicht umsonst den traditionsreichen mex. Spruch: "Quién no transa, no avanza." - Laßt ihn uns anwenden und wahre paisanos werden.
Amen.

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4 Kommentare:

Anonymous Anonym schrieb...

Ich weiss ja nicht genau wo Du wohnst, nachdem ich aber zumindest ein paar Monate in Coacalco gewohnt habe (was wohl im groben Deine Richtung ist) kann ich mir die Situation gut vorstellen und kenne natürlich auch die Siedlungen in Ecatepec neben der Autopista.

Ich war damals komplett neu im Land, kannte daher die Zusammenhänge nicht, hab aber wohl einen Eindruck über das Leben in dieser Gegend gewonnen.

Mittlerweile kenne ich das Land etwas besser und bin 100%ig Deiner Meinung was die Folgen und die Gleichgültigkeit solcher "Baupolitik" der Allgemeinheit gegenüber betrifft.

23. April 2008 um 19:48  
Blogger Andreas Bohn schrieb...

Bei uns oben gibt es ein Naturschutzgebiet, den "Parque Tarango". Der wurde gerade erst eingezäunt, so richtig häßlich mit Stacheldraht und allem drum und dran, weil ein paar Leute angefangen hatten, in diesem Park Häuser zu bauen.

Das Problem ist, wie hier bereits mehrfach angemerkt wurde, nicht die Tatsache, daß sich da jemand etwas aneignet, wofür andere viel Geld hinlegen, sondern die Folgen, die daraus für die Allgemeinheit erwachsen.

24. April 2008 um 09:15  
Blogger rolandmex schrieb...

Der Unterschied zu den klassischen slums rund um große Städte in Entwicklungsländern liegt v.a. darin, dass sich die mex. Ansiedlungen von "improvisiert" und "temporär" sehr schnell in Steinbauten und Dauerhaftigkeit wandeln.
Wer selber einmal gebaut hat, weiß, dass Baustoffe (wie Steine, Sand und Zement) nicht gerade zu den billigen Dingen in Mexico gehören. So arm können diese Leute also gar nicht sein, es sei denn, sie haben tatkräftige Unterstützung von einflußreichen Leuten und Organisationen, die damit ausschließlich ihre eigenen (v.a. machtpolitischen und finanziellen) Interessen verfolgen.
Die vermaledeiten Parteien (alle (!), denn in Mexico ist Politik v.a. Geschäft und nicht Gestaltung der Gesellschaft) sind dabei die ersten, die mir spontan einfallen.

Aber: ich wollte mich ja nicht mehr beklagen.
Ran an die Integration... ;-)

24. April 2008 um 11:30  
Anonymous Anonym schrieb...

Ist denn nicht einzig und allein diese Rücksichtslosigkeit gegenüber den Nächsten, der Natur und der Gesellschaft die Wurzel aller Probleme in Mexiko?

Es pregunta.

16. Mai 2008 um 22:00  

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